Krafttraining bietet weit mehr als reinen Muskelaufbau – es beeinflusst Beweglichkeit, Stabilität und Gesundheit der Gelenke. Eine oft gestellte Frage lautet: Muss man zusätzlich dehnen oder genügt ein Training über den vollständigen Bewegungsradius (ROM)? Hier klären wir die wichtigsten Punkte.
Dehnen – längst überholt?
Dehnen wird traditionell als wichtiges Ritual vor und nach dem Training angesehen. Unterschieden wird meist zwischen dynamischem Dehnen (vor dem Training) und statischem Dehnen (nach dem Training).
Früher glaubte man, Dehnen würde die Verletzungsgefahr senken und die Leistung verbessern. Doch aktuelle Studien zeigen: Statisches Dehnen vor dem Krafttraining kann die Muskelspannung und damit die Maximalkraft reduzieren.
Dynamisches Dehnen als Teil eines funktionellen Warm-ups hat seine Berechtigung, um Körpertemperatur und Nervensystem hochzufahren – aber statisches Dehnen als Standardmaßnahme vor dem Training ist heute klar überholt.
Bewegungsradius (ROM) im Krafttraining
Das eigentliche "Geheimnis" für Flexibilität und gesunde Gelenke liegt im Training selbst: Wer seine Übungen konsequent über den vollen Bewegungsradius ausführt, trainiert gleichzeitig Kraft und Beweglichkeit.
Tiefe Kniebeugen, kontrolliertes Bankdrücken bis zur Brust oder Klimmzüge aus voller Streckung sind klassische Beispiele.
Der Schlüssel: Technik geht vor Gewicht. Nur wer sauber und vollständig arbeitet, fördert Muskelbalance, Mobilität und langfristige Leistungsfähigkeit.
Flexibilität durch ROM – reicht das?
Viele denken, Flexibilität brauche eigene Stretching-Routinen. Aber: Krafttraining über den kompletten Bewegungsbereich erhält und verbessert bereits die Beweglichkeit.
Natürlich ersetzt ein sauberes ROM kein spezifisches Mobility-Training, wenn du darin sehr ambitionierte Ziele hast – etwa einen vollständigen Spagat. Wer extreme Beweglichkeit erreichen möchte, muss diese Fähigkeit separat trainieren.
Aber für 99 % der Trainierenden, die einfach schmerzfrei, beweglich und leistungsfähig bleiben wollen, reicht der Fokus auf den vollen Bewegungsradius im Krafttraining absolut aus.
Mobility ist ein separates Thema
Hier lohnt es sich zu differenzieren: Mobility bedeutet aktive Beweglichkeit – also Kraft über eine bestimmte Bewegungsamplitude hinweg.
Wer hier Defizite hat (z. B. eingeschränkte Schulter- oder Hüftbeweglichkeit), sollte gezielt Mobility-Drills ins Training integrieren.
Aber auch dafür gilt: Mobility verbessert sich nicht durch passives Dehnen, sondern durch kontrolliertes Bewegen unter leichter Last. Genau wie Kraft, Ausdauer oder Schnelligkeit ist Beweglichkeit eine trainierbare Fähigkeit.
Wann Dehnen trotzdem Sinn machen kann
Willst du eine spezifische Fähigkeit wie Spagat, Brücke oder extreme Überkopfbeweglichkeit aufbauen, kommst du um gezieltes Dehntraining nicht herum.
Dabei handelt es sich aber nicht um klassisches "Waden stretch’n und hoffen", sondern um systematisches, progressives Dehntraining, oft kombiniert mit isometrischer Kraftarbeit.
Das liegt deutlich über dem Alltagsbedarf. Normales Dehnen „zum Lockern“ hat zwar einen Placeboeffekt für das Wohlbefinden, ist aber für Leistungsfortschritte oder Verletzungsprophylaxe nicht notwendig – solange das eigentliche Training sauber ausgeführt wird.
Fazit
Krafttraining über den vollständigen Bewegungsradius ist der effektivste Weg, um Flexibilität, Stabilität und Mobilität zu erhalten.
Zusätzliches Dehnen ist für die meisten nicht nötig und bringt oft keine echten Vorteile, wenn das Training selbst intelligent strukturiert ist.
Wer ambitionierte Beweglichkeitsziele verfolgt, sollte diese gezielt trainieren – genau wie Muskelaufbau oder Kraft.
Für die breite Mehrheit gilt: Saubere Technik, volle ROM, smarte Progression – damit bleibst du stark, beweglich und verletzungsfrei.
Dehnen aus Gewohnheit? Kann man machen. Muss man aber nicht.
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